Monopol- und Lobbymacht entflechten!

Bei einer Wiederbelebung der Antimonopolpolitik lässt sich an Ideen und Konzepte aus dem letzten Jahrhundert anknüpfen

Dieser Artikel erschien als Schwerpunkt beitrag in OXI 12/22

Ein Beitrag von Max Bank und Timo Lange


Ein Grundprinzip der Demokratie ist es, die Bündelung von Macht
in den Händen weniger zu verhindern, Macht möglichst zu verteilen.
In der Politik spricht man von »Checks & Balances«, von Gewaltenteilung. Subsidiarität und breiter Partizipation. Doch zu große Machtkonzentration ist nicht nur in der Politik problematisch: Auch in der Wirtschaft, auf den Märkten, hat eine hohe Machtkonzentration negative Auswirkungen um es gelinde zu formulieren. Und zwar nicht nur für die Märkte selbst, sondern
auch für demokratische, gemeinwohlorientierte Politik.

Zu lange haben wir monopolartige Strukturen in zentralen Wirtschaftsbereichen zugelassen. die Kolonialisierung ganzer Lebensbereiche durch Konzerne befördert und unsere
Gesellschaften abhängig gemacht. Konzentrierte Märkte schaffen konzentrierte politische Macht. Je größer die Konzerne, desto mehr
Macht und finanzielle Mittel haben sie die Politik in ihrem Sinne zu beeinflussen, demokratische Verfahren und Institutionen zu unterminieren.

Um die Lebensgrundlagen unseres Planeten für die Zukunft zu erhalten und eine gerechte Verteilung von Wohlstand in unseren
Gesellschaften, aber auch global zu ermöglichen müssen wir entschiedene Schritte gehen, urz gesagt, die Macht der Konzerne entflechten. Es ist Zeit für eine Wirtschaftsordnung, die den Titel demokratisch verdient, eine Ordnung, in der die Ökonomie den Menschen dient und nicht andersherum.

Die Konzepte zur Vermeidung zu hoher Marktkonzentration sind nicht neu, wirken heute aber in Ohren vieler etwas verstaubt:
Kartellrecht. Antimonopolpolitik. Spätestens seit der neoliberalen Wende Ende der siebziger Jahre wurden solche Instrumente politisch
entkernt: Statt auf die negativen Auswirkungen dominanter Konzerne auf Wirtschaft, Politik und Gesellschaft insgesamt zu blicken,
konzentrierte man sich vor allem auf Preisbildungsmechanismen
und sogenannten fairen Wettbewerb.

Bei einer Wiederbelebung der Antimonopolpolitik lässt sich durchaus anknüpfen an Ideen und Konzepte aus dem letzten Jahrhundert.
Antimonopolpolitik galt hierzulande einmal als Antwort auf den Faschismus. Das nationalsozialistische Herrschaftssystem und die
spätere Kriegswirtschaft waren eng verbunden mit den seit dem Kaiserreich entstandenen Kartell- und Monopolstrukturen. Private
Monopolmacht verbandsichmit totalitärer politischer Macht – mit verheerenden Auswirkungen auf der ganzen Welt.

Walter Eucken formulierte als ordoliberaler Wirtschaftstheoretiker kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in seinen »Grundsätzen
der Wirtschaftspolitik« antimonopolistische Ideen und stellte die Macht- und Demokratiefrage ins Zentrum. Die Alliierten, insbesondere die USA drängten Westdeutschland zur Umsetzung dieser Ideen. Dies hatte Auswirkungen auf die Wirtschaftsstruktur des westdeutschen Staates. Große deutsche Monopolkonzerne,
wie die I.G. Farbenindustrie AG, wurden in Einzelunternehmen wie BASF, Bayer und Hoechst entflochten. Ein grundsätzliches
Kartellverbot wurde zudem mit dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkung (GWB) 1957 festgeschrieben, es folgte die Gründung des Bundeskartellamts, das bis heute das Kartellverbot
sicherstellen soll.

Zugleich wurde eine enge Verflechtung zwischen Wirtschaft und Politik auch nach Ende des Zweiten Weltkriegs nie aufgebrochen. Das grundsätzliche Unbehagen an wirtschaftlichenMonopolstrukturen
hat nachgelassen, die Antimonopolpolitik wurde entkernt. Im Gegenteil wurde auch in Deutschland wieder von »nationalen Champions« geträumt und wurden Strukturen aufgebaut und zugelassen, die Abhängigkeiten schufen: Die Verteidigung der Interessen der deutschen Autoindustrie in der EU kann als deutsche Staatsräson gelten, trotz Rechtsbruch durch VW & Co im Dieselskandal. Auch die Monopolstrukturen im Bereich der
Gasindustrie wurden hingenommen, um an billiges Gas aus Russland zu kommen – trotz sicherheitspolitischer und – man könnte sagen demokratiepolitischer Bedenken.

Was wir nun entschieden herbeiführen müssen, ist ein doppelter Strukturbruch, um das nachzuholen, was umfassender seit 1945 in
Deutschland, in Europa hätte passieren sollen. Zum einen brauchen wir Maßnahmen für eine Entflechtung von Politik und Privatwirtschaft, die Transparenz und den gebotenen Abstand
sicherstellen. Zum anderen eine dekonzentrierte Wirtschaft, die nicht mehr ganze Gesellschaften erpressen und mit in den Abgrund reißen
kann. Statt einer mit Monopolinteressen konformen Demokratie brauchen wir eine demokratisch gesteuerte Wirtschaft und Gesellschaft. Wir müssen weg von »too big to fall« und
hin zu »small is beautiful«.

Das ist keine kleine Aufgabe, aber mit dem entsprechenden politischen Rückenwind auch keine unrealistische. Die Antworten können dabei nicht für jeden Wirtschaftssektor und
jedes Problem die gleichen sein. Im Kern geht es darum, die Möglichkeiten zu beschneiden, ökonomische Macht in politische Macht zu übersetzen. eine kritische Distanz zwischen
Politik und Privatwirtschaft herzustellen und Verflechtungen und Verkrustungen personeller, finanzieller und struktureller Natur zu vermeiden.

Weniger Machtkonzentration in der Wirtschaft reduziert die Wahrscheinlichkeit und Möglichkeit einseitiger Einflussnahme zu
Lasten der Allgemeinheit, der Umwelt, des Gemeinwohls. Deshalb brauchen die Kartellbehörden in Europa Befugnisse, die ihnen erlauben, zu ausgeprägte Markt- und Machtkonzentration
zu entflechten, auch unabhängig von »missbräuchlichem Verhalten« auf den Märkten, im Sinne zum Beispiel von Preisabsprachen.

Ein solches missbrauchsunabhängiges Entflechtungsinstrument
würde dort ansetzen, wo die Konzentration bereits zu hoch ist. Auf der anderen Seite sollten Zusammenschlüsse, Fusionen
von Unternehmen anders als heute bewertet werden. Ob sie erlaubt werden, richtete sich nicht nur nach Wettbewerbsgesichtspunkten,
sondern blickte auf gesamtgesellschaftliche Auswirkungen. Der neue Grundsatz für dieses re-politisierte, verschärfte Kartellrecht
lautet: Keine private Machtkonzentration zulassen, die Politik und Gesellschaft erpressbar macht!

Doch eine kritische Distanz zwischen Politik und Privatwirtschaft braucht auch starke politische Institutionen und einen klaren Rahmen, der sicherstellt, dass politische Interessenvertretung
transparent, demokratisch kontrolliert, ausgewogen und unter breiter Beteiligung stattfindet.

Interessenvertretung bleibt ein wichtiges Merkmal einer freiheitlichen. gerechten, demokratischen Ordnung, aber sie braucht
Schranken und Regeln, um illegitime Einflussnahme und problematische Verflechtungen zu verhindern. Mit dem verpflichtenden Lobbyregister sind wir in Deutschland einen ersten
Schritt auf diesem Weg gegangen, der nun weiterverfolgt
werden muss. Das Lobbyregister muss verbessert werden, damit es wirklich für alle sichtbar macht, wer in wessen Auftrag und mit welchen Mitteln Einfluss nimmt. Die Durchsetzung der Regeln braucht mehr Kompetenzen, Ressourcen, Durchgriffsrechte und
Sanktionsmöglichkeiten aufseiten der Behörden. Wie Gesetze entstehen. müssen wir künftig anders gestalten. Eine legislative Fußspur, die sichtbar macht wer wie an der Gesetzesentstehung
beteiligt war, hilft dabei, einseitige Einflüsse zu verhindern. eine ausgewogene Beteiligung zu sichern.

Personelle und finanzielle Verflechtungen mit der Privatwirtschaft beeinträchtigen die Integrität der demokratischen Institutionen.
Ob durch Wechsel von politischem Spitzenpersonal
in lukrative Lobbyjobs, Nebentätigkeiten oder die immer noch unzureichende Transparenz bei der Finanzierung von Parteien und
Wahlkämpfen, ein auf stärkere Distanzfokussierendes
Regulierungsregime ist hier möglich und sendet zugleich das starke Signal: Unsere Demokratie ist nicht käuflich! Weder von Konzernen
noch von autoritären Regierungen anderer Staaten.


Gelingt es uns, starke Transparenzregeln für den Lobbyismus und Schranken gegen den Einfluss des Geldes in der Politik allgemein durchzusetzen, wird es bedeutend einfacher, auch die Machtstrukturen in der Wirtschaft zu ändern.

Allein über strukturelle Anti-Monopol-Maßnahmen
wie Entflechtung wird das Aufbrechen sektoraler Machtstrukturen aber nicht immer gelingen. Deshalb braucht es – wie etwa im
Bereich der Digitalökonomie mit dem Digital Markets Act der EU (DMA) bereits geschehen auch sektorspezifische Regulierungen.

Ein Beispiel: Der DMA schreibt perspektivisch vor,
Messengerdienste miteinander zu verknüpfen. Eine Textnachricht von Whatsapp auf Signal und umgekehrt wird damit möglich. Das
bricht das Monopol von Whatsapp im Messengerbereich
zugunsten datenschutzfreundlicherer Dienste auf. Damit wahrt ein Eingriff in den Digitalsektor die Entscheidungsfreiheit
von Nutzer:innen. Wahlfreiheitwird durch Monopolmacht
eingeschränkt. Dies aufzubrechen schafft der DMA mittels der sogenannten »Interoperabilität von Diensten«.


Gute Regeln dürfen nicht nur auf dem Papier gut sein. Sie müssen wirken und gegenüber machtvollen Wirtschaftsakteuren durchgesetzt werden. Dafür braucht die Politik die
entsprechenden Ressourcen. Abgasnormen müssen kontrolliert, Datenschutz bei den Techkonzernen überprüft und Verstöße gegen
Transparenzregeln geahndet werden. Kurzum: Gute Gesetze allein reichen dafür nicht. Klar muss sein: Demokratie und ihre Wehrhaftigkeit gegenüber illegitimer Einflussnahme kostet
Geld. Sie sollte es uns wert sein. Denn nur so können wir eine Durchsetzung des Gemeinwohls erreichen. Nach einer personellen Entflechtung von Wirtschaft und Politik, Entflechtung überbordender
Machtstrukturen in der Wirtschaft und nach der Ausstattung von politischen Institutionen mit ausreichend Ressourcen zur Durchsetzung guter Gesetze kommen wir dem Ideal von demokratischer Teilhabe wieder nah. Demokratie ist immer in Bewegung. Wir müssen sie stets gegen einseitige Interessen verteidigen. Tun wir das undschaffen die institutionellen
Voraussetzungen für eine Demokratie der vielen Stimmen, dann hat unsere Gesellschaft und auch unsere Wirtschaft eine breitere, demokratische Basis. Es lohnt sich, für diese Zukunft
zu streiten.

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